Matratzenkitsch

Sie liegt rücklings auf mir und stöhnt. Ich spüre ihre junge, weiche Haut, die sich auf ihren Engelsflügelchen abschält wegen des Sonnenbrands, das lange, über mich hingebreitete, gelockte Haar, ich spüre die Kuhle ihres Rückgrats, die Blasen an ihren Füßen, die sich in mich stemmen, ich spüre die Rundung ihres hübschen Hinterns schwer auf mich drücken. Ihr Unterleib bewegt sich schneller auf mir, dann flucht sie laut: „Diese Scheißmatratze, es quietscht bei jeder Bewegung, verdammt noch mal, das macht mehr Lärm als ich!“ Sie muss lachen. Ich finde das gar nicht komisch.

Ich bin eine französische Federkern-Matratze, zehn Zentimeter dick, zwei Meter lang und einen Meter zwanzig breit, für zwei die sich lieben oder besser: frisch verliebt haben. Seit fünfzig Jahren bin ich in diesem Hotelzimmer, das spricht für meine Qualität. Ich lasse mich doch nicht beschimpfen, jetzt! Das Quietschen der Federn spricht nur für mich, zeichnet mich aus als treu und ergeben. Ich stand stets zur Verfügung, wenn jemand mich brauchte und scheute keine Beschwerlichkeiten. Ich bin besudelt von täglichem und nächtlichem Schweiß, von Blut, von Sperma und süß-saurer Frauenflüssigkeit, von Speichel und Tränen, Urin, Rotwein und Kaffee, all das ist tief in mich eingedrungen. Ich bin imprägniert mit den Ausscheidungen der Menschen, die sich auf mir ausruhten, amüsierten, stärkten, betranken, rauchten, feierten oder trauerten. Mein hellblaues Blumenmuster ist verblasst und ich bin befleckt in allen Farben, durchlöchert von verglimmenden Zigarettenstummeln und sich in mich krampfenden Fingernägeln, selbst gebissen wurde ich ab und an, in rasender Wollust. Aber auch geküsst. In ungeduldiger Erwartung des Geliebten, in unglücklicher Sehnsucht nach dem, der einen verlassen hat.

Sie haben mir eines Tages einen Überzug verpasst, beige und hässlich, der die Befleckungen versteckt, mich auf allen Seiten fest umschließt und nach Plastik riecht. Ich erinnere mich noch an das Ruckeln des Reißverschlusses, es wurde immer enger und dunkler und dunkler. Seitdem bin ich beinahe blind. Durch die durchscheinenden, billigen Leintücher war genug zu sehen, aber durch den dichtgewebten Überzug erkenne ich nur noch Umrisse, Schatten, Schemen. Wenn ich alleine bin, dann bin ich jetzt alleine, ich langweile mich, kann nicht mehr aus dem Fenster blicken, vorbei. Ich mochte den Himmel über Paris, die Sonne, die Wolken, die Schwalben, das liebestrunkene Vibrieren der Luft, die kühlweiße Mondsichel. Jetzt spüre ich nur noch die Sonne warm auf mir und den Herbstwind, wenn jemand das Fenster öffnet und lausche dem Vogelsang.

Ich fühle mich unwohl in meiner Verpackung, das Plastik trennt mich von der Außenwelt, der Welt die ich liebe, den Menschen, die auf mir leben. Ich bin eine leidenschaftliche Matratze. Ich will sie fühlen und riechen und hören, ich will sie sehen, ich mag es, wenn sie mich benutzen und beschmutzen, das ist mein Zweck. Ich liebe die Tragödien, die auf mir vonstatten gegangen sind, ich liebe Ehebrüche und Entjungferungen, ich liebe das erste Mal und das letzte Mal, auch nach der Trennung, ich liebe den Schlaf, den erschöpften und unruhigen, das Wachliegen und ich liebe das Glück, das sich auf mir vollzieht, immer wieder.

Das Zimmer, mein Zimmer ist klein, sehr klein, ich an Stelle der Menschen würde mich beschweren, aber die meisten, die hierher kommen, sind noch so jung, dass sie gar nicht wissen, wie das geht. Das macht sie angenehm. Ich habe schon öfter im Gespräch gehört, dass dies das günstigste Hotel in ganz Paris sein soll. Immerhin ein Superlativ. Dass ich die wahrscheinlich älteste Matratze in Paris bin, erfährt besser niemand. Das Zimmer ist so klein, dass die Besucher nicht wissen, wo sie ihre Koffer abstellen, nicht wissen, wo sie überhaupt stehen sollen, man kann nicht einen Bogen schlagen um mich, man fällt geradezu auf mich, sobald man eintritt.

Ich mag das. Dann spüre ich, dann schnuppere ich, dann lausche ich, genieße ich. Vielen Gästen gefällt das auch und ich wundere mich fast, wie oft sie wiederkehren im Laufe des Tages, wie kurz ihre Ausflüge sind, wie wenig Zeit sie in der Stadt der Liebe verbringen und statt dessen auf mir: mit Liebe. Gerade die Unumgänglichkeit des Niedersinkens auf mich, die Unmöglichkeit eines anderen Aufenthalts, ja einer anderen Tätigkeit in diesem Zimmer scheint verlockend zu wirken. Das erfreut mich, jedes Mal.

Auch diese beiden sind heute zum vierten Mal hier. Heute morgen leise, im Halbschlaf, mehr ein Schieben als Bewegen, heute Mittag nach dem duftenden Baguette mit Käse, dessen Krümel auf mich niederregneten, nach dem Rotwein, laut und lachend, heute Nachmittag zärtlich und schläfrig vor einer kurzen Siesta und jetzt nur sie allein. „So geht das nicht!“, sagt sie. „Ach so,“ er lässt sich neben ihr auf mich fallen, auch er jung, schlank, sein Körper fester als ihrer, sein kurzes Haar kitzelt mich, „Du vertraust mir also nicht!“ Er meint es nicht ganz ernst, er ist sich ihrer so gewiss. „Doch,“ lacht sie, „ich vertraue nur der Matratze nicht.“ Ich will empört sein, bin aber schon viel zu beschäftigt mit dem Gerangel, das da entsteht, dem Armgewirr und Beinverknoten, dem lauten, schmatzenden Küssen und leisen Kichern, seinem neckenden Prusten auf ihrem Bauch, ihren flink-kitzelnden Händen an seinen Rippen. Dann wird es ruhiger, aber die Verknotungen bleiben bestehen.

Ihre Unterhaltung gleicht jetzt einem Gurren, er spricht mit den Lippen nah an ihrem Hals und sie lacht leise und hell, ihr Glucksen, das durch ihren Körper fließt, bringt mich zum Beben. „Du, Du,“ flüstert er und sein Mund wandert, er haucht es auf ihre Haut, „Du, Du…“ wiederholt er immer wieder an verschiedenen Stellen ihres Körpers. Ihr Leib vibriert auf mir, aber nicht mehr vor Lachen. „Duuuuu…“, raunt er lange in ihren Schoß. Wie glücklich die beiden sind. Doch dann steht er ganz plötzlich auf und ich nehme wahr, wie sein Schatten auf dem Boden niederkniet. „Was tust Du“, sagt sie kichernd, „ich bin eine emanzipierte Frau!“, reicht ihm ihre schlanke Hand hinunter und zieht ihn wieder auf mich. Sie kniet jetzt auf mir und dann spüre ich, wie auch seine Knie sich ihr gegenüber in mich bohren, sie scheinen sich an den Händen zu halten. Es wird ganz still auf einmal und erwartungsvoll.

„Für immer?“, fragt er nur, leise, und schluckt seinen Speichel nach. Ein Zittern läuft durch ihren Körper, als sie „Ja“ wispert, kaum vernehmbar.

Ich würde weinen, wenn ich könnte. Die in mir bewahrte Feuchtigkeit sammelt sich als Kondenswasser an meiner Plastikhülle und ich erwarte ein Erdbeben.

Das Beben wird lang, sanft und für die Ewigkeit, ich atme die Gerüche ihrer jungen Körper, ich höre ihre Münder unaufhörlich aufeinander ruhen, ich ahne, wie tief sie sich in die Augen blicken, ich schmecke Süßes und einige Tropfen Salziges. Dann höre ich die Frau telefonieren, mit der Rezeption. Was ich kosten würde, fragt sie, ob sie mich mitnehmen kann, nach Hause. Vollkommenes Glück.

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