Einer meiner Alpträume ist in Erfüllung gegangen. Nicht einer, der sich des Nachts anschleicht, einen unsanft weckt und über den man am nächsten Tag schon beinahe zu lachen vermag, sondern einer, der mir sogar tagsüber den Schweiß auf die Stirn treibt und mich niemals zum Lachen bringen könnte.
Um es kurz zu machen: plötzlich, unangemeldet, unverhofft und unerwünscht ist ein Fernsehteam vor meiner Wohnungstür, gestern Nachmittag und ich stehe in Haus-Schlabber-Jogging-Klamotte, noch ungeduscht (ja, bei Studenten kommt das manchmal auch am Nachmittag vor) und mit sehr schlechter Laune in der Tür meiner unaufgeräumten Wohnung und linse durch einen möglichst klein gehaltenen Spalt von höchstens zwanzig Zentimetern zwischen Tür und Rahmen. Draußen drei ziemlich aufgetakelte junge Damen (so weit ich das beurteilen kann, vor lauter Furcht versagt meine Erinnerung mir den Dienst) und ein junger Kerl, der sofort seine dicke Kamera auf mich richtet, schon bevor man mich begrüßt, ohne zu fragen, ob ich gefilmt werden möchte, einfach so.
Ich verkleinere den Spalt sofort um weitere Zentimeter, so weit, dass man sich dadurch gerade noch verständigen kann und trete einen Schritt zurück, damit möglichst wenig von mir zu sehen ist, meine Gedanken schwirren hin und her zwischen Ausschnitten irgendwelcher Sendungen von Privatsendern, die für die heimgesuchten Menschen, denen angeblich in irgendeiner Form geholfen wird (mit ihrer Wohnung, ihrem Ex-Mann, ihrer Arbeitslosigkeit etc.), regelmäßig demütigend sind. Die Bloßstellung gehört zum Programm, denn ohne Defizit keine Hilfsmöglichkeiten und überhaupt ist die Aufdeckung der vielen Fehler der Menschen viel unterhaltsamer als deren Behebung für die Zuschauer.
Ob sie meinen Kleiderschrank ‚pimpen‘ dürften, fragt man mich und lächelt freundlich und freudig und ich schaffe es nicht, ebenso freudig und freundlich zu antworten, fühle meine Gesichtszüge schier entgleisen.
‚Pimpen‘ – dieses Wort muss einem ja alleine schon das Blut in den Adern gefrieren lassen und ich möchte meinen Kleiderschrank und mich armes Wesen nur noch beschützen vor diesem Wort, vor diesem Vorgang, vor dem demütigenden Eindringen in meine Privatsphäre. Mein Kopfschütteln und mein Blick müssen eigentlich schon alleine eindeutig gewesen sein, aber zur Verstärkung und auf die Frage nach dem ‚Warum‘ meiner Ablehnung bemühe ich das erste Fremdwort, das mir in den Sinn kommt und setze auf dessen abschreckende Wirkung: Nein, denn ich sei überhaupt nicht fernseh-affin und mein Kleiderschrank auch nicht, sage ich.
Auf die Erwiderung, genau deshalb würden sie ja in meinen Kleiderschrank schauen wollen, eben weil nicht fernseh-affin, kann ich nichts mehr vernünftiges antworten, ich sage nur noch hilflos nein danke und auf Wiedersehen und schließe die Tür abrupt und sehr fest. Ich bin erst einmal erleichtert, dass sie mich nicht mit Gewalt zu meinem ‚Glück‘ gezwungen haben und erinnere mich dann aber, dass der Herr Kamerahalter die ganze Zeit sein filmendes Objektiv auf mich gerichtet hielt und seitdem fürchte ich, dass das irgendwann einmal zur Belustigung anderer Menschen im Fernsehen ausgestrahlt werden könnte: eine ungewaschene, verwirrte, schlechtgelaunte und ängstliche Frau, die sich erfolglos hinter ihrer Tür zu verstecken und mit gewählter Sprache gegen gutgekleidete, fröhlich-erfolgreiche junge Menschen zur Wehr zu setzen sucht. Was für ein Alptraum!
6 Comments for “Alb”
Jacky
says:*schüttelt ungläubig mit dem kopf*
Diese Leute werden immer dreister.
Erst gestern hat mich jemand angerufen, erst kommt kein Ton aus der Leitung.
Ich: „Hallo?“
Stille
Sie: „Hallo?“
Ich: „Hallo?“
Ein langgezogenes gähnen dringt aus dem Hörer
Sie: „Spreche ich mit …?“ Ich denk mir nur, dass muss die doch wissen, sie hat mich doch angerufen.
Ich: „Wer ist denn da?“
Noch ein kurzes gähnen, dann folgt ein auswendig gelerntes Runterrasseln von Daten, Name, Umfrageinstitut und Ziel, ob ich drei kurze Fragen beantworten würde.
Ich bleibe weiter freundlich: „Wir beantworten keine Fragen am Telefon“
Sie (sehr pampig): „Tschüss“ und legt auf.
Manchmal frage ich mich, was sich diese Leute dabei denken. Gut sie werden dafür bezahlt.
Aber das die jetzt auch schon persönlich und mit einem Fernsehteam anrücken.
Da kann ich wohl von Glück reden, dass es noch keine Bildverbindung gibt.
Auf der anderen Seite, wenn sie dich wirklich im Fernsehn zeigen sollten, dann solltest du es von der positiven Seite sehen, dann kannst du sie nämlich verklagen, und du kannst deinen Kleiderschrank mit Klamotten „aufpimpen“ die dir wenigstens gefallen. Dazu bräuchten sie nämlich dein Einverständnis, und solange du nichts unterschrieben hast …
Einen schönen Freitag noch
Jacky 😉
Sprachspielerin
says:Ja, das mit dem Einverständnis ist mir schon klar, aber 1. halten die sich da immer dran?, 2. ich habe keine Lust, jetzt andauernd Privatfernsehen zu schauen, um herauszufinden, ob ich irgendwo unerlaubt irgendwo gesendet werde, 3. ich habe sowieso keine große Lust, irgendjemanden zu verklagen, 4. ich werde das jetzt einfach möglichst schnell vergessen!
Sprachspielerin
says:Und apropos Telefonanrufe: ich hatte mal eine Dame von einer Lottogesellschaft am Apparat, die erst süßlich flötete, ob ich nicht Lotto spielen wolle. Meine wie aus der Pistole geschossene Antwort ’nein‘ veranlasste auch sie zu der Nachfrage ‚warum denn‘, woraufhin ich ihr erklärte, dass ich recht gut über die (Un-)wahrscheinlichkeit eines Gewinns Bescheid wüsste. Woraufhin sie mit der Analogie konterte, dass ja Hummeln nach naturwissenschaftlichen Gesetzen auch nicht fliegen könnten, aber dennoch würden. Dass dies erwiesenermaßen Humbug ist, wusste ich damals noch nicht und sagte nur, dass ich trotzdem nicht Lotto spielen wolle. Woraufhin sie ziemlich unfreundlich erwiderte, dass ich dann eben dumm bleiben solle und grußlos auflegte. Ich beneide solche Menschen nicht um ihren Job, das macht sicher keinen Spaß, anderen Leuten per Telefon auf die Nerven gehen zu müssen, aber das war nun wirklich nicht die feine englische Art, solchermaßen daneben muss man sich nun auch wieder nicht benehmen!
Jolie
says:Das ist ja wirklich unglaublich! Die kommen wirklich ohne Vorwarnung vorbei? *kopfschüttel* Und die haben keinen Tip von irgendeiner „gut“ meinenden FreundIn bekommen? Ich dachte so Sendungen leben von solch „Empfehlungen“… Aber irgendwann sind vielleicht mal alle Willigen durch oder die Reisekosten wurden gesenkt… Ach übrigens in der Mutterpause passiert das mit dem Ungestyltsein bis zum Nachmittag auch schon mal. 😉
Jacky
says:Tja ja, solche Lottospezialisten, wer kennt sie nicht.
Aber mein Papa hat das Totschlagargument schlechthin entwickelt:
„Wenn das mit dem Gewinnen so einfach ist wie sie sagen, warum haben sie dann nicht längst selbst gespielt, und liegen jetzt, mit einem Cocktail, auf Hawaii am Strand?“