Der Turmsegler hat angesichts seiner Wiederentdeckung der Stilübungen von Raymond Queneau zum Mitmachen aufgefordert, nach folgenden dürren Geschehnissen eine Variante zu schreiben:
Im Autobus der Linie S, zur Hauptverkehrszeit. Ein Kerl von etwa sechsundzwanzig Jahren, weicher Hut mit Kordel anstelle des Bandes, zu langer Hals, als hätte man daran gezogen. Leute steigen aus. Der in Frage stehende Kerl ist über seinen Nachbarn erbost. Er wirft ihm vor, ihn jedesmal, wenn jemand vorbeikommt, anzurempeln. Weinerlicher Ton, der bösartig klingen soll. Als er einen leeren Platz sieht, stürzt er sich drauf.
Zwei Stunden später sehe ich ihn an der Cour de Rome, vor der Gare Saint-Lazare, wieder. Er ist mit einem Kameraden zusammen, der zu ihm sagt: „Du solltest dir noch einen Knopf an deinen Überzieher nähen lassen.“ Er zeigt ihm wo (am Ausschnitt) und warum.
Beim Turmsegler ist neben zwei weiteren Varianten von Raymond Queneau auch noch seine eigene zu lesen und hier kommt also meine, nur ganz schnell aus der Feder geschüttelt, denn eigentlich habe ich gar keine Zeit:
Wir sitzen im überfüllten Bus und fahren durch Paris, ich glaube nicht, dass mein Herr weiß, wo wir sind, wohin wir fahren, wohin er will. Er will nirgendwo hin, wartet nur darauf, dass er einschläft und sein Nickerchen noch eine Weile im warmen Bus fortsetzen kann, ehe er rausgeschmissen wird. Heute hat er sich nicht einmal ein Tuch über die Schulter gelegt, aber mir ist das egal, dann mache ich eben seine Lederjacke voll, an der kann ich mich sogar besser ankrallen. "Einen hübschen Papagei haben Sie da, so ein schönes, buntes Gefieder!", sagt die junge Frau, die in Ermangelung eines Sitzplatzes im Gang neben uns steht, freundlich. Mein Herr ignoriert sie, wendet nicht einmal den Kopf, wofür sie dankbar sein kann, denn sonst würde sie sein alkoholverpesteter Atem treffen. Ich ignoriere sie nicht, ich recke meinen Hals ein wenig, um ihr besser in den Ausschnitt ihres Kleidchens sehen zu können, sie hat den Mantel geöffnet, hier drin ist es auch wirklich warm und ich vertiefe mich in den Anblick ihrer vom Büstenhalter zusammengepressten Äpfelchen, zwischen denen ich gerne meinen Schnabel wetzen möchte.
Doch dann werde ich abgelenkt von einem Streitgespräch vor uns. Da wirft ein junger Kerl in alberner Kleidung einem anderen vor, ihn anzurempeln. ‚Putin‘, krächze ich, denn das tue ich bei jedem Streit, es scheint oft zu passen. Manchmal will mir dann jemand an den Kragen, manchmal verursacht mein Ausruf aber auch Heiterkeit, worüber der Streit dann vergessen wird. Doch der Ältere der beiden ist so hasserfüllt, dass er mich gar nicht hört, der Jüngere weint gleich. Der Bus hält, ich muss mich gut an der Schulter meines Herrn festhalten, Plätze werden frei, der larmoyante Jüngere setzt sich in die Reihe vor uns. Er trägt einen Hut mit Kordel, die ich mir gerne schnappen würde, ich recke mich vor, möchte sie schon in den Schnabel nehmen, da fährt der Bus wieder an und bringt mich in meine Position zurück. Ich strecke mich wieder, da fällt mir erst der widerlich lange Hals des Mannes mit Hut auf, dem meiner in diesem Moment gleichen muss und ich lasse das Projekt fallen.
Mein Herr ist inzwischen eingeschlafen und der blasierte Junge steigt an einer der nächsten Stationen aus. Wir fahren noch eine ganze Weile im warmen Bus durch die Stadt, bis sich jemand beschwert, dass mein Herr stinken würde, nach Alkohol und Pisse und er an der nächsten Station, der Gare Saint Lazare, einfach hinausgeworfen wird, mit mir. Mein Herr trottet ein wenig durch den Bahnhof, kauft sich am Bahnhofskiosk eine Flasche Schnaps und eine Dose Erdnüsse für mich und sucht sich dann eine Bank an der Cour de Rome, wohlwissend dass er drinnen nicht geduldet wird. Er legt seine Mütze vor die Bank, damit Passanten Kleingeld hineinfallen lassen, er trinkt, gibt mir auch einen Schluck und schläft dann weiter, in die Lederjacke gehüllt. Und dann kommt doch tatsächlich der langhalsige Typ aus dem Bus dort vorbei, er diskutiert mit einem Freund, der ihn auf einen Fehler an seinem Überzieher hinweist, da fehle ein Knopf und ich weiß, dass er denkt, dass so der lange Hals des larmoyanten Kerls noch länger aussieht, aber er sagt es nicht. ‚Knopf annähen‘, rufe ich, doch sie sind schon wieder vorbei.
Mich würde jetzt auch noch interessieren, was z.B. fabe daraus macht oder kid37 oder die Frau Engelin oder vielleicht gibt es dazu ein Gedicht von hor? Aber natürlich sind auch alle anderen recht herzlich eingeladen, eine Variation zu verfassen!
6 Comments for “Stilübung”
kid37
says:Das ist doch mal eine hübsche Herausforderung. Ist notiert! (Und Danke.)
fabe
says:mach ich demnächst, jetzt erst gesehen!
engl
says:kann was dauern, bin in der nächsten woche sicher kaum im netz. hab aber schon das buch rausgekramt, das kommt mit. (das ist ja das schöne an büchern.)
Sprachspielerin
says:Nun, dann werde ich eben versuchen, mich mit Geduld zu wappnen und warte dennoch sehr gespannt auf eure Ergebnisse!
aufgaben - coderwelsh/synchron./
says:[…] termine bis ende des jahres von einem kalendersystem in das andere zu pastieren. ich hätte da noch anderes zu tun, jedoch. montage waren einmal schöne tage. ich bin jetzt immer so müde. es ist mir auch zu […]
Textilstrand » Blog Archive
says:[…] Komplizen? Ein Alki mit einem Papagei. Oh hauerha, der Vogel hat ja wohl die beste Aussicht in diesem voll-gepackten Bus. Der Kleenen da […]