Sie kennen solche Tage ja sicher. Solche Tage, an denen es das wunderbarste Wetter hat, bis, ja bis Sie das Haus verlassen wollen. Sie binden sich also eilig die Schuhe. Ja, und genau dann reißt natürlich ein Schnürsenkel. Nachdem Sie dann mit einem anderen Paar Schuhen an den Füßen aus dem Haus treten, beginnt es urplötzlich heftig zu regnen. Solche Tage meine ich. Solche Tage, an denen Sie außerdem – ohne sich irgendeiner Schuld bewusst zu sein, ohne auch nur den Anflug eines Katers zu haben – unter dem sogenannten ‚Dummheitskopfschmerz‘ leiden.
Der Dummheitskopfschmerz ist keine Migräne, er präsentiert sich nicht wegen irgendwelcher durcheinandergetrunkener Alkoholika der letzten Nacht, er schmerzt noch nicht einmal richtig, drückt kaum, spannt nur ein wenig, reicht aber aus, damit Sie sich den ganzen Tag über ein wenig matt, beeinträchtigt, erledigt, müde, jedenfalls nicht ganz auf der Höhe fühlen. ‚Dumm‘ eben. Und wie gesagt, rührt der gemeine Dummheitskopfschmerz noch nicht einmal von irgendwelchen Exzessen her (dann lohnte er sich womöglich immerhin), nein, nur daher, vielleicht etwas zu wenig Wasser getrunken, zu kurz oder aber auch zu lang geschlafen zu haben. Im Grunde also nur Ihre eigene ‚Dummheit‘, dass Sie ihn haben.
Dennoch ist es sehr gut zu wissen, dass Ärzten diese Diagnose bislang unbekannt geblieben ist, denn wer hört schon gern von seinem akademisch gebildeten Arzt: "Sie leiden nur unter Dummheitskopfschmerz, da kann ich leider nichts für Sie tun, ob er vergeht, weiß ich nicht zu sagen, bei manchen Menschen ist das angeboren und dauerhaft." Nein danke!
An solchen Tagen jedenfalls, schon müde beim Aufstehen und irgendwie verdattert, vom Dummheitskopfschmerz geplagt, gebeutelt von der zuverlässigen Widrigkeit des Wetters und dem vorauszuberechnenden Reißen des Schnürbands im ungünstigstmöglichen Augenblick, fragen Sie sich schon mal, ob sich da irgendein höheres Wesen eigentlich über Sie amüsiert und auf Ihre Kosten lustig macht, anders ist das ja kaum zu erklären.
Sie beschließen also, lieber zu Hause zu bleiben, bevor noch mehr passiert und schlagen ein Buch zum Willehalm Wolframs von Eschenbach auf und lesen den schönen Satz, dass ein Ritter in der großen Schlacht zwischen Christen und Heiden "schwer verwundert" worden sei. Nein, kein Verleser, das steht da wirklich! Eine sehr hübsche pazifistische Utopie der Verfasser eigentlich: man stelle sich vor, wie sich da die beiden riesigen und tödlich verfeindeten Heere gegenüberliegen und statt zu kämpfen, verwundern sich die tapferen Ritter gegenseitig (und dann auch noch schwer!) und ziehen letztlich wahrscheinlich höchst irritiert und friedlich von dannen. Auch eine gute Lösung!
Dann schlagen Sie aber ein Buch zur Pest im Spätmittelalter auf und müssen erstmal minutenlang über den Titel des Aufsatzes sinnieren, denn dieser lautet: "Busse in Zeiten des Schwarzen Todes". Und dann begreifen Sie langsam: nein, da geht es doch nicht um neue, spektakuläre Erkenntnisse der Wissenschaft zur Entwicklung motorisierter Fahrzeuge und automobiler Innovationen, jetzt doch schon im 14. Jahrhundert! Nein, es geht schlicht und einfach um den völlig willkürlichen und verwirrenden Einsatz der ss/ß-Schreibung. Denn natürlich gab es im Spätmittelalter deutlich weniger Busse als heutzutage, dafür aber sicherlich deutlich mehr ‚Buße‘, gerade in Zusammenhang mit der Pest, der angeblichen ‚Strafe Gottes‘, und der Untertitel lautet dann auch ‚Die Züge der Geissler‚.
Nach dieser Erkenntnis können Sie das Buch beruhigt wieder schließen, in Ihrem Zustand und für den Dummheitskopfschmerz ist Lesen ohnehin nicht anzuraten, am besten Sie gehen gleich wieder ins Bett, denn sonst passiert Ihnen am Ende auch noch sowas.
Literaturtips:
- Wolfram von Eschenbach: Willehalm (mittelhochdeutscher Text und Übersetzung)
- Joachim Bumke: Wolfram von Eschenbach
- Klaus Bergdolt: Der schwarze Tod in Europa. Die große Pest und das Ende des Mittelalters.
5 Comments for “Solche Tage”
refu
says:Sehr treffend beschrieben. Ich überlege gerade, ob es bei mir heute auch solch ein Tag wird oder ob ich es schaffe, ihm eine Wende zu verpassen.
Bjoern
says:Dem Dummheitskopfschmerz begegne ich immer mit üppigem Essen (früh am Morgen lasse ich dann Ziegenkäse auf Omelettes laufen). Ob es hilft – keine Ahnung, aber der beginnende Magendruck beansprucht die volle Aufmerkamkeit.
Norman Liebold
says:Wo Du so lieb nach meinem Tag fragst und der Deine offenbar etwas… dumpf… ausgefallen ist, besenfe ich gerade einmal dummheitskopfschmerzerzeugend den letzten geposteten Beitrag. Wahrlich, gerade eben schrieb ich den letzten Absatz, das letzte Wort, das letzte Zeichen des „Dichterbrand“s. Was wohl soviel heißt, als daß der Arbeitstag im Grunde gut gelaufen ist. (Naja, ehrlich: Ich fühl mich zum Jauchzen nach fast fünf Monaten an dem Ding, war eine schwere Geburt…) Allein, auch ich litt heute an etwas, das dem Begriff „Dummheitskopfschmerz“ durchaus adäquat genannt sein würde… mein Rezept ist da allerdings weniger kulinarisch als das von Björn dem Schüttelreimer, und auch nicht so kuschelig wie Deine Rückwendlichkeit zur Bettstatt. Es ist eher das primitiv-verbissene Weitermachen und eben, wenn es sein muß, alles drei Mal wiederholen. Dauert länger, ist unangenehm, aber irgendwann gehts dann wieder. Ist wahrscheinlich Testosteron: Sich von einer dämlichen körperlichen Reaktion etwas vorschreiben lassen oder ihr auch nur irgendwelche Beachtung zollen – nie und nimmer. 😉
Leider kann ich mich nicht auf eine meinerseitig kompetente Diskussion über Beauvoir einlassen, denn zugegebenermaßen sind hier meine Kenntnisse sehr wahrscheinlich so weit den Deinen unangemessen unterlegen, daß sie schlicht nicht lohnenswert wäre. Als ich sie zur Hand nahm, und das ist schon ziemlich lange her, um meine Satré-Zeit herum (mit 15 oder so, also schon gar nicht mehr wahr), verlor ich schnell das Intresse – aber das kann man wohl einem Pubertierling nicht allzu übel nehmen. Philosophisch bin ich nach etlichen Ausflügen (was bei einem Philo-Studium nicht ausbleibt)wieder in der Antike gelandet. 😀 Irgendwie ist mir eine Abneigung gegen jede Form von -ismen gleich welcher Art eingefleischt.
Haefs läßt seinen Matzbach das schön sagen: „[…] Jedenfalls, seit sich die Philosophie aufgespalten hat, hilft nichts mehr von alledem mehr [sc. Sozio-, Psycho- und Sonstwasologie]. Das einstmals Hilfreiche an ihr hält sich für eigenständige Wissenschaft, statt für hilfloses Tasten in der Finsternis, und der Rest ist impotente Theorie. […]“ (Haefs, Gisbert: Mörder und Marder. Ein Baltasar-Matzbach-Roman. München 1999. S. 19) Da ich auch sein „Muß man sich mit allem identifizieren, was man liest? Darf man nicht Dinge interessant finden, ohne sie gleich für wahr zu halten?“ (ibidem, S. 127)unumwunden unterschreiben würde, bin ich sehr erfreut, daß es trotz Reibungsfläche keine Grabenkämpfe gab.
Und selbst, trotz Wattehirn in den Willeham reingekommen, ganz existenzialistisch? Übrigens, ganz Deiner Meinung: Schuld ist eine Erfindung, die entweder Schwachmaten zur Resignation oder Machtgeilen zum Erpressen dient… (Das ist polemisch, ist mir klar.)
Sprachspielerin
says:Okay, Preis für den längsten Kommentar in meinem Blog gewonnen! 😉
Auch dieser Text hier war nicht autobiographisch, den ‚Dummheitskopfschmerz‘ habe ich ohnehin von jemandem geklaut und heute war bei mir jedenfalls keine Spur davon! Also alles Willehalm und Bibliotheken und so.
Über Deine Testosteron-These könnten wir – wie Du Dir vielleicht inzwischen denken kannst – in Streit geraten, davon halte ich gar nichts, aber was soll’s…
Und Antike? Nun ja, selbst da gibt es ja schon Platonismus und Co.
Ansonsten: Herzlichen Glückwunsch zur Manuskript-Beendigung!
Norman Liebold
says:Und was krieg ich jetzt als Preis? Einen Rettich? Ja?
Der Platon-ismus dürfte eine Erfindung der Philosphie-Historiker sein. Echte -ismusse definieren sich selber gerne programmatisch und wiederholt und sogar in der -ismus-Form. Das ist genauso so seltsam, wie wenn ein paar Leute sich gegenseitig beweihräuchern und sich „Epoche“ nennen. Wie die Expressionisten,zum Beispiel. Oder die Romantiker. Oder das ganze andere soundnichtanders-Pack jeder Zeit und Gattung.
Öhm… die Testosteronthese ist doch nicht so abwegig? Oder doch lieber gesellschaftsinduzierte Rollenneurosen und Indianer weinen nicht?