Entzugserscheinungen

Ich kann nicht ohne. Es geht nicht. Gestern groß angekündigt, aber ich kann einfach nicht ohne. Mein Innenleben verkraftet das nicht, es hat Entzugserscheinungen, es zittert und wimmert, ich bin süchtig, es geht nicht ohne Schreiben, koste es was es wolle.

Ich lebe alleine auf einem Floß, in der Mitte eines großen Sees, das dunkelgrüne Wasser ruht ganz still und glatt, kein Wind bewegt es. Mein hölzernes Floß liegt darauf als würde es schweben, schwerelos. Ein Nebel umgibt mich in der Lautlosigkeit und entzieht mir den Blick auf die Gestade, Gesellschaft leisten mir einzig der Ruf der fernen Vögel, die ich nicht sehen kann, mein denkender Geist und Schreibzeug. Mein Geist kreist um mich und durch den Nebel, ich liege auf dem Rücken und starre in die Wolken, alles um mich ist weiß, mein Blick fängt sich nirgendwo, aber das Floß trägt mich verlässlich, ich spüre die glatten, geschälten Stämme unter mir, fast weich. Und wenn ich nicht zum Füller greife, wenn ich nicht schreibe, dann neigen sich die Stämme. Ich beginne hinabzugleiten, ins kalte Nass, ganz langsam. Am ersten Tag sind es nur meine Fußsohlen, die vom Wasser benetzt werden, am zweiten hängen die Füße in den See, aber nach einer Woche steht mir das Wasser bis zum Hals. Dann werde ich ganz kalt und steif in der Wasserkühle und mein Herz schlägt langsamer, wie das der Fische in der Tiefe, dann fürchte ich, auf den Grund des dunkelgrünen Sees zu sinken, wohin kein Licht dringt und kein Vogelruf.

Ich lebe nah am Wasser, alles unter mir, in mir ist Wasser, wer Tränen braucht, dem kann ich welche abgeben, ich habe genug und ich kann sie nur halten, wenn ich schreibe, ich kann nicht ohne. Ich brauche die Worte um mich wie die Wolken und die Vogelrufe, wie das rettende Floß unter mir, ich brauche das Schreiben. Zumindest eine Zeile, einige Sätze, eine Randnotiz, ein Gedicht muss es sein, jeden Tag, sonst sinke ich in mir zusammen, gehe krumm und werde fahl und krank, sonst hört mein Herz auf zu atmen, sonst sinke ich ins Wasser und ersaufe in meinen Tränen.

Lichtblick heute: Die wundervolle Musik der Schwedin Lykke Li, deren komplettes Album man auf MySpace anhören kann, meine Favoriten sind Time Flies und das hier, Don’t you let me go tonight:

7 Comments for “Entzugserscheinungen”

Norman Liebold

says:

Du beginnst, mich mehr und mehr zu erstaunen – sowas im kommerziellen MTV-Betrieb? Interessant, danke schön. Komme grad von einem wunderbarem Konzert von Heinz Ratz‘ aktuellem Projekt „Lauf gegen die Kälte“ (http://www.laufgegendiekaelte.de – als Abschluß spielt Heinz auch bei Euch in München) mit Widmann und liebe handgemachte Musik (dafür aber sehr breit gefächert). Zuweilen beneide ich Euch Lyriker und Kurzgeschichtler. An einem Tag einen Text zu schreiben… interessante Vorstellung. Ich glaube, ich habe keinen Text, der weniger als ein halbes Jahr und sehr viele, die länger als 3 Jahre gegoren haben, ehe ich es nur wagte den Füllfederhalter auf’s Papier zu setzen. Ich stelle mich das ungemein entspannend vor, nicht mondelang an einem Text zu leiden, ehe man ihn mit dem Herzen blankgelutscht hat. Einer meiner liebsten Freunde, Daniel (http://www.posiversum.de), ist so ein spontaner, und er erweckt seit einem Dutzend Jahren meinen Neid, daß er’s direkt herauslassen kann, ohne den schmerzhaften Verdauungs-Akt.

Wie kommt es übrigens, daß ich meinen MA ohne Probleme als LA-Abschluß (1.SE) habe anerkennen lassen, wenn die Unterschiede so groß sind? 😛

Sprachspielerin

says:

Und Sie, lieber Herr Liebold, beginnen mich langsam zu nerven! 😉 Im Ernst: ich halte die Unterschiede zwischen MA/LA wirklich für nicht so groß, das einzige wogegen ich mich verwahren möchte, ist die beliebte Aussage, MAler würden ‚tiefer‘ = ‚besser‘ studieren, das ist schlichtweg falsch! Ansonsten sind sich die Studiengänge weitgehend ähnlich und alles andere bleibt der Freiheit des einzelnen Studenten überlassen, wie ich schon sagte! Und in welchem verweichlichten Bundesland man sich den MA als 1. Staatsexamen anrechnen kann, frage ich mich ja schon, in Bayern geht das jedenfalls überhaupt ganz und gar nicht! 😉 Und jetzt Schluss mit dieser Diskussion!

Und: es geht mir gar nicht darum, ‚ganze Texte‘ an einem Tag zu schreiben, sondern ich hatte mir ja vielmehr ’selbst‘ verboten, hier überhaupt zu schreiben, um mich ganz auf die verdammte Lernerei zu konzentrieren. Und genau das geht nun einmal nicht, wie ich oben schrieb, manche Zeile will eben heraus. Und: nur weil ein Verdauungsakt kürzer ist, ist er nicht unbedingt schmerzloser, mein Lieber! (Was für ein abscheuliches Wort übrigens: Verdauung, diese beiden u-s sind ja von beleidigender Hässlichkeit, fällt mir gerade auf…)

Norman Liebold

says:

Ich falte meine Hände vor der Brust, neige das Haupt und ziehe mich – mir den virtuellen Reißverschluß von links nach rechts über die Lippen ziehend – zurück. Euch zu nerven lag niemals in meinem Sinn, die Anerkennung (Sek II, Deutsch, Philo) ist allerdings in der Tat bundesweit gültig. Tasächlich (ich bitte nicht zu lachen), reizt es mich im Moment, die zwei Jahre Ref und das 2.SE dranzuhängen – zugebenermaßen aus Recherchegründen, aber eine Qualle mehr tut ja auch nicht weh, oder?

Und was sind schon ‚ganze Texte‘? Ich hab den Fehler gemacht, mich zwischen 2002 und 2005 auf ältere Arbeiten wieder einzulassen und für AV zu editieren. Texte sind nie fertig, und wenn sie’s irgendwann für Dich sind, so für den Leser niemals. Und wenn irgendwann für ihn, dann gibts schon ein Dutzend neue…

P.S. Von tiefer=besser habe ich nie gesprochen, Sie, hingegen sehr wohl von MA=Pillepalle. Daß LAler genauso gestriezt werden (und weniger Freiheiten genießen, ihren Interessen zu folgen), ist mir klar. Sie gehen halt mehr in die Breite. Was besser oder schlechter ist, ist eine sehr persönliche und individuelle Frage. Ich als schrecklich eigenbestimmter Querkopf kann sie zwar für mich eindeutig (und für sieben Jahre) beantworten, aber ich hätte für andere Menschen genauso viel Argumente, LA zu machen. Und wenn Du promovieren darfst, darf ich ja wohl auch das 1. Staatsexamen haben und in Ref gehen!

Sprachspielerin

says:

So war’s ja nun auch nicht gemeint!

Was ist denn Sek II? Wiedermal Begriffsverwirrung… Bei mir geht es ja um Gymnasium, ist das dasselbe? Und: bundesweit ist gar nichts, ich dürfte nichtmal in einem anderen Bundesland das Referendariat antreten, mein Staatsexamen ist ‚bayerisch‘ und auch die Versetzung in ein anderes Bundesland hinterher ist sehr, sehr schwierig, wenn nicht unmöglich!

Norman Liebold

says:

Interessant. Ich habe Angebote von NRW, Sachsen und Schleswig-Holstein fürs Referenderiat. Sekundarstudfe 2 ist Gymnasium Oberstufe, zumindest in NRW, das mag abweichen, aber Gymi reicht wohl als gemeinsamer Nenner.

Sprachspielerin

says:

Um ehrlich zu sein, verstehe ich gar nichts mehr! Wahrscheinlich herrscht gerade so großer Lehrermangel, dass die jetzt alles machen, um welche zu kriegen. Aber egal, erstmal muss ich das Examen machen, was ich dann damit anfangen kann, wird sich dann herausstellen… Und deshalb muss ich mich jetzt wieder an die Arbeit machen!

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