„Der ist doch viel zu jung für Dich!“, sagten sie und ich verstand es nicht, verstand nicht das ‚zu‘ im Satz und nicht die Empörung in ihren Stimmen. Laut in den Stimmen meiner Freundinnen, leiser in denen meiner Kollegen und überdeutlich in der Stimme meiner Mutter. Ja, er ist jung, Mitte zwanzig. Aber wieso ‚zu jung‘ oder gar ‚viel zu jung‘, wer bestimmt darüber, wer setzt dieses Maß? Und was zum Teufel hat das mit mir zu tun, selbst wenn ich um so viele Jahre älter bin? Er ist jung und das ist er ohne mich und mit mir, nichts außer den verstreichenden Jahren kann daran etwas ändern, ich mache ihn weder jünger noch älter, nichts ändert sein Zusammensein mit mir an seiner Jugend. Warum also immer wieder dieser Vorwurf an mich?
Er gefiel mir und mir schmeichelte, dass er sich für mich interessierte, mir schmeichelte, dass er mich umwarb und küsste und begehrte, der mein Sohn hätte sein können. Wie man so schön sagt. Wie ich oft sagen hörte. Ich zweifelte, aber sein immer steif werdendes Geschlecht, sobald er seinen Körper an meinen presste, war ein Argument für sich. Eines der schönsten Komplimente für eine alternde Frau, eine Frau, die mehr fürchtet zu altern, als sie tatsächlich altert, ein Kompliment, das mich verjüngte und nach dem ich süchtig wurde, das ich immer wieder haben wollte.
Und er? Ich habe ihn nie gefragt, was er an mir als älterer Frau schätzte und ich habe immer geflissentlich vermieden, seiner Mutter zu begegnen. Er wollte lernen. Mehr war es anfangs nicht, erst dann verliebten wir uns.
Was es dann wurde? Eine ganz normale Beziehung, ohne ‚alt‘ und ohne ‚jung‘ und vor allem ohne ‚zu‘, zumindest wenn wir unter uns blieben. Eine schöne Beziehung, eine frische, junge, immer wieder überraschende Beziehung, etwas Aufregendes, eine liebevolle, zärtliche Beziehung. Erst dann begann, was wohl in jeder Liebesgeschichte irgendwann beginnt, weil eine jede altert mit der Zeit.
Ich schien mich abzunutzen wie eine Gegenstand, den man täglich berührt, Gewöhnung setzte ein. Mein Körper schien sich abzunutzen von Tag zu Tag und die Nacktheit meines Körpers erregte nicht mehr. Mein nackter Körper ruhte immer öfter neben seinem, ohne dass er reagierte, immer öfter umarmte er mich, ohne dass sein Geschlecht aufstand und gegen meine Pobacken drückte.
Ich hatte geglaubt, er würde mein Altern nicht mehr bemerken, denn er hatte mich ja schon älter kennengelernt, nicht mehr frisch und glatt und prall wie ein junges Mädchen. Ich dachte, er würde sich nicht an meiner Orangenhaut und meiner erschlaffenden Bauchdecke stören, wenn sie von Anfang an zu mir gehörten. Aber ich altere weiter, unaufhaltsam, das Erschlaffen schreitet fort und ich glaube, er bemerkt es doch. Er sagt nichts, aber ich spüre seine Blicke auf meiner weichen Haut, schräg und stumm und brennend in jeder meiner Falten. Oder bilde ich sie mir nur ein? Ist es nur, dass ich an nichts anderes mehr denken kann und deshalb Blicke spüre, die es nicht gibt?
Vielleicht ist es doch nur das Altern unserer Beziehung und nicht meines, das zu dieser Abnutzung und Gleichgültigkeit führt. Mein Körper ist abgegriffen von seinen Berührungen, er ist abgeküsst von seinen Lippen und die Wiederholungen werden seltener, er versagt mir seine Komplimente. Und nichts ist schmerzlicher als seine Lippen, die sich den meinen entziehen, mich nicht mehr küssen mögen, nichts ist demütigender als sein weiches Geschlecht, das mich nicht mehr will.
Ich liege neben ihm, dem jungen Mann, den alle für ‚zu jung‘ für mich halten und weine, wenn er eingeschlafen ist. Ich weine über das Ausbleiben seiner Berührungen, das Erschlaffen meiner Haut, ich weine über die Stärke seiner Begierde, die vorbei ist, ich weine darüber, dass ich mich jetzt erst wirklich alt fühle, neben ihm, der mich einst verjüngt hatte und der sich nun meinem abgenutzten Körper verweigert. Und doch liebe ich ihn, kann ihn nicht verlassen, muss mich täglich dieser Demütigung aussetzen und fürchte, dass er irgendwann gehen wird.
Nur manchmal, in guten Momenten, lächle ich und sage zu mir: Eigentor! Du wolltest begehrt werden von einem Jungen, Dich durch ihn verjüngen und schläfst jetzt unbegehrt neben einem, der Dir Dein Altern erst vor Augen führt. Selbst Schuld, denke ich dann, Du hättest hören sollen auf die Entrüstung in den Stimmen Deiner Freundinnen, Kollegen, Deiner Mutter, nur einmal, Du hättest Dich nicht verlieben, nicht süchtig werden dürfen und Du hättest es wissen müssen, dass auch Beziehungen altern, nicht nur Du, müder werden und schlaffer und sich abnutzen und dass nichts hilft dagegen.
3 Comments for “Altern”
Norman Liebold
says:Schöner Text, dergleichen Sichtweisen eröffnen doch Horizonte. Zugeich aber auch, soweit es Weltnetz und die Gefahr der verwechselten Autobiographierung innerhalb eines wenngleich als literarisch gekennzeichneten Blogs angeht, durchaus gefährlich. 😉 Wie alt warst Du noch mal?
Sprachspielerin
says:Jaja, da sieht man es mal wieder, wie das irreführen kann, diese Annahme, alle Texte seien autobiographisch… Insofern ja ganz schön, dass es hier völlig ausgeschlossen ist, da hast Du Recht!