Ich liebe ja Bücher über alles. Ich mag sie in der Hand halten und spüren, ich mag in ihnen blättern, ich mag sie ‚begreifen‘, ihren Einband und die einzelnen Seiten, ich mag sie rascheln hören und ihren Geruch atmen. Und ich will Bücher, die ich lese, auch immer am liebsten besitzen, ausleihen ist nicht so meins. Um ehrlich zu sein, gehe ich aber dann auch nicht gut mit meinen Büchern um (also ist es auch besser, wenn sie nicht ausgeliehen sind), es dürfen ruhig Eselsohren hinein, meine Bücher werden aufgeschlagen unsanft auf den Bauch gelegt, meine Bücher werden mit in die Badewanne genommen, mit zum Frühstück, mit an den Strand.
Für mich sind sie dann aber nicht ‚beschädigt‘, für mich sind sie dann erst so richtig ‚mein‘, erobert durch den sichtbaren Gebrauch. Ich mag die von der Feuchtigkeit zerknitterten Seiten, die gebrochenen Buchrücken, die Wasser-, Kaffee-, Marmeladen- oder Tomatensoßenflecken, ich mag den Sand, der noch Jahre später beim Aufschlagen herausrieselt und die plattgedrückten Mücken, die ich mit dem Buch gefangen habe. Ich mag es, wenn man auf den ersten Blick sieht: oh, dieses Buch ist nicht neu, es wurde gelesen, es wurde geliebt.
In manchen Phasen meines Lebens habe ich so viele Bücher erstanden (natürlich mehr als ich lesen konnte), dass jemand einmal zu mir sagte, ich kaufe Bücher wie andere Leute Brot. Ich habe Bücher wirklich gerne, egal ob neue oder gebrauchte, egal ob frischgedruckte oder natürlich noch lieber sehr alte, ich kann mir ein Leben ohne Bücher schlichtweg nicht vorstellen. Und ich liebe natürlich Bücherregale, die sich unter dem Gewicht der Bücher nur so biegen, und am liebsten sind mir Wände, die man gar nicht sieht, weil sie nämlich ganz und gar von Bücherregalen bedeckt sind (auch wenn dazu mein Geld und Platz zu Hause natürlich nicht reichen).
Was ich aber dennoch nicht mag – und das erstaunt nach allem Gesagten vielleicht (von der Liebe auch zu alten, benutzten Büchern und der Liebe zu flächendeckenden Bücherregalen) – was ich also trotz allem nicht mag, sind Bibliotheken. Zumindest nicht die zahlreichen Abarten von Universitätsbibliotheken. Ich gebe ja zu, dass das ungerecht und unlogisch ist, denn nirgends sonst findet man schließlich so viele Bücher, druckfrische wie Erstausgaben, nirgendwo sonst so wenig sichtbare Wände, weil alles von Büchern bedeckt ist und nirgendwo sonst kommt man überhaupt an bestimmte Bücher heran, die vergriffen, alt, nicht wieder aufgelegt etc. sind. Und ja, Bibliotheken können wirklich schön sein, wie uns gerade wieder die Wissenswerkstatt mit einigen sehenswerten Fotos von Pracht-Bibliotheken gezeigt hat.
Sobald ich aber eine der meist weniger prächtigen Universitätsbibliotheken betrete, wird trotz meiner Bücherliebe mein Mund staubtrocken und ich selbst entsetzlich müde. Alles was dann kommt, finde ich nur noch sehr, sehr anstrengend. Das beginnt ja schon mit den kleinen Schließfächern, vierzig Zentimeter hoch, aber oben haben sie doch einen Haken, an dem man seine Jacke aufhängen soll: wessen Jacke passt denn da rein, ohne auf dem Schließfachboden zu schleifen? Irgendwelche Baby- oder Zwergenjacken vielleicht, aber das sind ja dann doch die eher ungewöhnlichen Bibliotheksbesucher. Trotzdem, irgendwie quetscht man dann (denn gerade im Winter, wenn man mit Tasche und dickem Mantel kommt, ist es nichts anderes als quetschen) doch noch alles ins Schließfach, bemüht sich noch, das richtige Geldstück zu finden (denn nein, die Bibliotheken können sich nicht einigen, ob sie zu diesem Zweck nun 1- oder 2-Euro-Stücke haben wollen und so hat man natürlich immer gerade das falsche Geldstück zur Hand) und schließt ab.
Man lächelt erschöpft und will den Schlüssel irgendwohin stecken, wirft aber noch einen kurzen Blick darauf: am Schlüssel befindet sich kein Anhänger mit der Nummer des Schließfachs. Das war ja eigentlich klar, denn selbst bei ganz neu installierten Schließfächern fehlen nach allerkürzester Zeit die allermeisten Nummernanhänger an den Schlüsseln. Sammelt die eigentlich irgendjemand? Gehen Leute gezielt in Bibliotheken, um ihre Kollektion von Schließfachschlüsselanhängern aufzubessern? Auf der Suche nach der 375, die ihnen in der Sammlung noch fehlt? Mit einfachem Abrieb ist das Ganze jedenfalls nicht zu erklären, dazu verschwinden zu viele. Was zum Teufel machen die Leute damit? Man versucht sich also wenigstens ungefähr einzuprägen, wo das eigene Schließfach ist und schreitet dann zur Tat.
Das eigentlich Anstrengende und Enervierende beginnt dann aber erst. Denn hat man die Signaturen der benötigten Büchern einmal gefunden, muss man ja noch diese selbst im Regal finden und da frage ich mich jedes Mal, wie es denn sein kann, dass die Bücher, die man sucht, entweder ganz, ganz oben in den Regalen stehen (so dass man sich auf einen Schemel, in anderen Bibliotheken auf eine wenig vertrauenserweckende Leiter begeben muss) oder aber ganz, ganz unten, nur wenige Zentimeter über dem Boden (so dass man sich gleich auf den wenig vertrauenserweckenden Teppichboden setzen muss, um sie auch nur ansehen zu können).
Was in aller Welt machen die Bibliothekare mit dem Rest des Regals, mit all den Regalmetern in der Mitte zwischen diesen Extremen, an die man ganz bequem, ohne Verrenkungen und ohne sich in Gefahr zu begeben herankommen könnte? Was um Himmels willen steht da? Sind das nur lauter Bücher-Atrappen, in denen gar nichts abgedruckt ist? Oder sind das absichtsvoll all die Bücher, die nun wirklich niemand braucht und sehen will? Sind das nur Platzhalter, damit man die Bibliotheksbenutzer sehr zielsicher nach ganz oben oder ganz unten jagen kann? Spätestens an dieser Stelle wünsche ich mir nur noch sehr viel Wasser (gegen die staubtrockene Luft) und mein Bett.
Man kann jetzt möglichst schnell einen Kopierer suchen, alles kopieren, was man lesen will und die Bibliothek fluchtartig wieder verlassen, das gelingt meistens aber nicht: erstens sind die spärlichen Kopierer sowieso zumeist alle besetzt und die Schlange sehr lang, zweitens bräuchte man eine spezielle Kopierkarte, die es nur drei Häuser weiter an einer speziellen Verkaufsstelle gibt und drittens wäre das einfach viel zu viel und viel zu teuer. Man kämpft also weiter, sucht sich einen Sitzplatz und schlägt die Bücher auf, die man sich unter Einsatz seiner Kraft und Geschicklichkeit heldenhaft erobert hat.
Wenn man nun versucht, konzentriert zu lesen, sich Stichpunkte zu machen oder vielleicht nur aufzuschreiben, was man unbedingt benötigt und doch einfach kopieren möchte, damit man diesem Ort möglichst bald entkommen kann, dann trifft man auf ein weiteres Hindernis der Bibliotheksbenutzung: die anderen Bibliotheksbenutzer. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass diese anderen nur in die Bibliothek gelassen wurden, um einen abzulenken und beim Arbeiten zu stören.
Die harmloseste Spezies unter den Bibliotheksbenutzern ist noch die, die dieselbe mit ihrem Büroarbeitsplatz verwechseln und um sich herum ein wildes Sammelsurium an mitgebrachten Sachen installieren, bei denen man sich wundert, dass sie diese überhaupt alle tragen konnten. Da finden sich natürlich bündelweise Stifte, verschiedene Sorten, Kugelschreiber, Bleistifte, Buntstifte, Leuchtmarker, Glitzerstifte mit und ohne Duft und so weiter. Außerdem natürlich Spitzer, Locher, Hefter, lange Lineale und was man sonst noch braucht. Dazu kommen dann aber auch noch Kaugummis und Lutschbonbons (was für ein Glück, dass man keine Getränke und Brotzeit mitnehmen darf, sonst sähen die Tische dieser Benutzer sicher wie ein kompletter Bahnhofskiosk aus). Außerdem darf natürlich eine Handcreme nicht fehlen, genauso eine Haarbürste, ein…, eine…, die Vielzahl der sorgfältig um den Benutzer herum aufgebauten Dinge ist schlicht unerschöpflich und kaum vorstellbar.
Natürlich gibt es auch immer mehr Bibliotheksbesucher, die mit ihren Laptops ankommen, dagegen ist natürlich erstmal auch wenig einzuwenden. Nur: bitte macht doch vorher eure Lautsprecher aus! Es nervt unheimlich, wenn alle paar Minuten aus irgendeiner Bibliotheksecke die Windows-Startmelodie zu hören ist. So schön ist die nicht! Und dann, naja, dann kann man sich schon manchmal ärgern, wenn man sich mühsam einen Platz gesucht hat, weil beinahe alle belegt sind und die Bibliothek fast überquillt, andere aber ganz ruhig auf ihren Plätzen sitzen, diese offenbar aber nur belegen, um in aller Ruhe Solitär spielen zu können und das nicht nur zwischendurch, sondern beobachtbar stundenlang. Ja, da könnte man sich schon fast aufregen.
Ärgern kann man sich natürlich auch über die lauten Gespräche, die einen aufschrecken und über das Absatzgeklapper, das einen immer wieder aufblicken und der vorbeistolzierenden Dame nachblicken lässt. Man versteht ja, dass jemand Aufmerksamkeit will, das ist ja auch legitim, aber bitte, versucht diese doch irgendwie anders zu erreichen als mit Schuhen, mit denen man ebensogut Flamenco tanzen könnte, so einen Lärm machen sie auf jedem Holzboden. Schuhe in Bibliotheken sind ja ohnehin so ein Thema, denn es ist durchaus verbreitet, selbige in der Bibliothek auszuziehen. Meine Meinung dazu: das muss nicht sein! Eure löchrigen Socken solltet ihr nur eurer Katze daheim zeigen, ich kann auf den Anblick gerne verzichten.
Überhaupt auch nicht zu unterschätzen ist die mangelnde Körperhygiene in den Bibliotheken: das fängt an mit den unbeschuhten, strumpfsockigen Käsefüßen, die einem da entgegengestreckt werden und geht weiter zur unterlassenen Benutzung irgendwelcher Deodorants. Und nein, ich finde Schweißgeruch nicht konzentrationsfördernd, ganz im Gegenteil! Besonders schlimm wird das, wenn man zwar wegen des Nebenmanns Gestank kaum mehr zu atmen vermag, trotzdem aber den Platz nicht wechseln kann, weil die Bibliothek fast überquillt und alle Plätze von Solitärspielern besetzt werden.
Hat man sich dann wegen all dieser und anderer Widrigkeiten dazu entschlossen, die Bibliothek doch zu verlassen, weil man hier ohnehin keinen Schritt vorankommt, dann kommen noch einige Hürden: erst muss man die aus den Regalen geholten Bücher sorgfältig dahin zurückstellen, wo sie waren, also ganz oben oder ganz unten ins Regal, sich auf die Leiter schwingen oder auf den Boden kauern (am besten legt man sich bäuchlings flach auf den Boden), dabei, wenn man sich schon in so eine Position gebracht hat, kann man auch gerne noch das ordnen, was die Mitbibliotheksbenutzer da so hinterlassen haben. Denn obwohl diese ja offensichtlich lesen können (was machten sie sonst in einer Bibliothek?), fällt ihnen das Signaturen-Lesen und das Ordnen der Bücher nach diesen Zahlen offensichtlich sehr, sehr schwer. ‚Durcheinander‘ ist oft gar kein Ausdruck für das, was man in den Regalen vorfindet.
Hat man die Bibliothek also mit sich unvorstellbarerweise immer noch steigernder Staubtrockenheit des Mundes und schnell weiter anwachsender Müdigkeit verlassen, wartet nur noch der letzte Stolperstein: ich habe Bibliotheksbenutzer schon eine halbe Stunde lang in den Reihen der Schließfächer nach ‚ihrem‘ Schließfach suchen sehen, jedes einzelne mit dem Schlüssel prüfend, hoffend, dass er da nun doch einmal passt. Letztlich reißt man nur noch erleichtert seine völlig zerknitterten Kleidungsstücke aus dem endlich wiedergefundenen Schließfach und schaut, dass man möglichst schnell zu einem großen Getränk und einem weichen Bett kommt.
Wie gesagt, ich liebe Bücher und auch ich erstarre angesichts der bei Marc gezeigten Prachtbibliotheken und von ihm so genannten ‚Kathedralen des Wissens‘ genauso wie Robert in Ehrfurcht, aber die Universitätsbibliotheken: nein, wirklich nicht, die haben damit rein gar nichts zu tun, keine Liebe, keine Ehrfurcht, nichts davon, ich könnte richtig gut darauf verzichten.
3 Comments for “Von Bibliotheken”
Chrizzo
says:Oh ja, so war es immer – da ist Dir eine klasse detailreiche Beschreibung gelungen. An meiner Uni gab es nur das Problem mit den verloren gehenden Nummern und den Käsefüßen nicht. Ich glaube, es gibt keine müde machenderen Räumlichkeiten, außer vielleicht Vorlesungssäle oder Seminarräume ohne Fenster mit Dauerkunstlicht – sowas sollte verboten werden.
Norman Liebold
says:Liebe Kaja mit Ypsilon,
nun mal ehrlich: unke doch nicht so herum! Ich habe Bibiotheken in Sachsen, in Sachsen-Anhalt und insbesondere im Rheinland (Aachen, Bonn, Köln, Düsseldorf) frequentiert, und auch wenn Du sehr trefflich die Spitzen pointiertest, mir bleibt da nur ein: nein, nein, nein! Nachdem ich ein paar tausend Euro in zitable digitale Versionen investiert habe, stelle ich fest, daß ich freiwillig und mit Lust wieder in Uni-Bibliotheken laufe, um mit Füllfederhalter Zitate heraus zu schreiben (trotzdem ich meine Mag. phil. und mein 1.SE eingesackt habe). Weil ich die Käsefüße und Solitärspielerinnen vermissen würde, die Germanistikstudentinnen und ewig in Tüten Herumraschelerer. Die sich in Ecken aufbauenden Gottunddieweltgespräche. Die interessanten Begegnungen, die einem auf der Suche einer Buchsignatur fast in ähnlicher Dichte widerfahren wie bei einer Tramptour durch den Orient. Ich kann nichts von Uni-Bibs in Bayern sagen, aber im Rheinland, in Sachsen, Sachsen-Anhalt und im Holsteinischen finde ich sie wunderbar…